Beschreibung
„Nichts ist so beständig wie die Unbeständigkeit“, soll der Königsberger Stubenhocker Immanuel Kant einmal gesagt haben. In zeitgemässe Managerfloskeln übersetzt, heisst das: „Nur wer sich ändert, bleibt sich gleich.“ Nun ist das Narr keine AG, keine GmbH, ja, nicht einmal ein keckes Start-U (dafür sind wir mit bald sechs Jahren auch zu alt). Und der einzige Gewinn, den wir anstreben, ist ein literarischer. Trotzdem gibt es mit dieser Ausgabe einige Neuerungen.
Wir expandieren nämlich. Ich, Adam, bin nach Leipzig gezogen, mit dem Ziel, mit Narr Deutschland, dem neusten Element der Narr-Franchise, den deutschen Literaturmarkt gehörig aufzumischen und zu „disrupten“. Auf dass der Narrativismus™ endlich am Deutschen Literaturinstitut unterrichtet werde!
Aber nicht nur das, unsere Redaktion vergrössert sich auch weiter: Jan Müller, unser allseits geschätzter Korrektor, bringt neu seinen an den grossen Werken der Antike geschulten Geschmack in unsere Textsitzungen mit ein. Damit ist das Narr inzwischen siebenköpfig. Am besten, ich übergebe Jan gleich selbst das Wort:
Wenn der Korrektor sich zu Wort meldet, so könnte man befürchten, dann wird’s gefährlich! Es drohen Kommata und Konjunktive und mindestens eine mittellange Suada, wie diese richtig zu gebrauchen seien, auf dass ihm seine Arbeit erleichtert werde und er nicht an seiner Zeit zu verzweifeln brauche, die derlei Künste nicht mehr zu schätzen wisse; und wenn ihm Adam zudem einen an der antiken Literatur geschulten Geschmack bescheinigt, so regen sich womöglich auch Bedenken, er messe die eingegangenen Texte streng an Cicero, Sallust und Caesar, ohne Gespür für die Unbeständigkeit, von der der oben zitierte Königsberger Stubenhocker sprach, und ohne Verständnis für Veränderung und Experiment. Er wird sich solcher Reden und Meinungen aber enthalten, denn er weiss ebenso, was Horaz in seiner Ars poetica empfahl: «Folge dem Mythos, wo nicht, schaff selbst ein stimmiges Ganzes.» Kurz: Finde deinen Stoff oder fingiere gut! Und dass unsere Autorinnen und Autoren genau das tun, das belegt die vorliegende Ausgabe des Narr # 22 wieder einmal mehr. Zudem sagte bereits im 12. Jahrhundert Johannes von Salisbury unter Verweis auf seinen Lehrer Bernhard von Chartres, die Schreibenden seiner Generation – er bezeichnet sie als die «Modernen» –, diese modernen Schreibenden also «seien gleichsam Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, sodass wir mehr und weiter sehen können als diese.» So will das Narr auch in seinem riesenhaften Alter von 22 Ausgaben junge, frische Literatur auf die Schultern nehmen und sie emporheben, damit sie experimentierend, spielend, wagend mehr und weiter sehen! Und daran mitwirken zu können, ist mir eine grosse Freue!
Die Ausgabe # 22 steht unter dem Zeichen des Jungseins und des Jungbleibens. Zwei unserer neusten AutorInnen, Noémie Steuerwald und Viktor Dallmann, sind kaum zwanzig. Adi Traar geht noch weiter: In seiner Geschichte offenbart sich das Kind im Manne. Ähnliches gilt für Jonis Hartmanns cholerischen Geländewagenfahrer, während in Rüdiger Saß’ Geschichte Kinder ein morbides Schicksal erfahren. Noémie Boebs setzt sich mit der Familie der Felidae auseinander, Gorch Maltzens Protagonist zieht dagegen den Süsswasserfarn Azolla vor.